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Blutegel
Von Uwe Manzke
Allgemeines
Zu den Blutegeln Hirudinidae zählen in Deutschland die Arten der Gattungen Hirudo (Blutegel) und Haemopis (Vielfraßegel). Dies ist eine wissenschaftliche Einteilung und beruht auf Gemeinsamkeiten in der Morphologie, keinesfalls aber in der Ernährungsweise. So saugen die Arten der Gattung Haemopis kein Blut. Der wissenschaftliche Name des Vielfraßegels (auch Pferdeegel genannt) Haemopis sanguisuga bedeutet zwar, dass die Art Blut saugt, doch ist dies falsch und beruht sehr wahrscheinlich auf einer Verwechslung mit dem im Mittelmeerraum und Vorderasien verbreiteten Pferdeegel Limnatis nilotica. Die Haemopis-Arten verschlingen kleinere Beutetiere und sind auch als Aasfresser bekannt. Zumeist aus Unkenntnis wird der Vielfrassegel gemeinhein als "der Blutegel" bezeichnet. Für Deutschland sind zwei Arten bekannt, der Vielfraßegel Haemopis sanguisuga und der Schwarzbäuchige Vielfraßegel H. elegans.
Die Arten der Gattung Hirudo hingegen sind echte blut- und körpersaftsaugende Egel. Natürlicherweise kommt in Deutschland nur der Medizinische Blutegel Hirudo medicinalis vor, der früher auch als Deutscher-, Preussischer- oder Grauer Blutegel bezeichnet wurde, um ihn von anderen ähnlichen Blutegeln, zum Beispiel dem Ungarischen- oder Grünen Blutegel Hirudo verbana (früher H. medicinalis officinalis oder H. officinalis) oder dem Orientalischen-/Asiatischen beziehungsweise Braunem Blutegel (H. orientalis) zu unterscheiden. Alle drei Arten wurden und werden für medizinisch therapeutische Zwecke an Menschen und Tieren eingesetzt.
Das (ehemalige) Vorkommen von Egeln, besonders wohl von Blutegeln, hat sich bis heute in einigen Ortsnamen und -bezeichnungen erhalten. So soll der Name des heutigen Hamburger Stadtteils Eilbek von der "Ylenbeke" stammen, also dem "Egelbach". Ähnliches dürfte für den Bremer Stadtteil Ihlpohl ("Egelpfuhl", "Egeltümpel") zutreffen.
Klärung des Artstatus der in Europa vorkommenden und medizinisch genutzten Blutegel erst vor kurzem erfolgt
Erst vor kurzem wurden die in der (westlichen) Medizin genutzten Blutegel unter anderem mit Hilfe molekularbiologischer Untersuchungen, auf ihren Artstatus und ihre natürliche Verbreitung untersucht (UTEVSKY et al. 2010) sowie der Orientalische Blutegel H. orientalis als eigenständige Art beschrieben. In Europa und in Zentralasien wurden und werden mindestens vier Arten von Blutegeln medizinisch genutzt, diese sind der Medizinische Blutegel Hirudo medicinalis (Vorkommen: Mittel- und Nordeuropa), der Ungarische Blutegel H. verbana (Vorkommen: Süd-, Südosteuropa, rund um das Schwarze Meer, Türkei, Kaukasus), der Iberische Blutegel (früher "Dragoner") H. troctina (Vorkommen: Iberische Halbinsel, Nordafrika) und der Orientalische Blutegel H. orientalis (Vorkommen: Kaukasus, Region um den Kaspi- und Aral-See, Iran, Kasachstan). Alle genutzten Blutegel wurden früher als H. medicinalis bezeichnet. Sie unterscheiden sich unter anderem aber deutlich in der Färbung und wurden daher bereits früh in verschiedene Unterarten / "Sorten" von H. medicinalis aufgeschlüsselt (s.o.): H. m. serpentina (= H. medicinalis), H. m. officinalis (= H. verbana) und H. m. orientalis (= H. orientalis). Hierbei sind alle Arten, mit Ausnahme von H. troctina relativ bunt gefärbt.
Aufgrund des Handels, der lokalen kleineren und größeren Zuchten, gezielter Aus- und Freisetzungen von Medizinischen Blutegeln H. medicinalis ist es heutzutage schwer zu sagen, ob die bestehenden Blutegelbestände autochthonen Ursprungs sind oder möglicherweise von importierten Tieren abstammen, beziehungsweise Mischpopulationen bestehen. Auch besteht die Möglichkeit, dass in ehemaligen heimischen Verbreitungsgebieten von H. medicinalis, fremde aus anderen Regionen stammende H. medicinalis angesiedelt wurden, hier spricht man von Paraneozoen.
Medizinischer Gebrauch und Handel mit Blutegeln
Mindestens seit dem 16. Jahrhundert werden echte Blutegel zu Heilzwecken in Mittel- und Nordeuropa genutzt. Im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert wurde H.medicinalis dann exzessiv für medizinische Zwecke gesammelt und gehandelt, so dass in vielen Regionen ein starker Rückgang des Medizinischen Blutegels H. medicinalis beobachtet wurde. Besonders in Pariser Hospitälern wurden Blutegel eingesetzt und es sollen dort zwischen 1829 und 1836 jährlich 5-6 millionen Blutegel "verbraucht" worden sein.
So gelangte daher auch bereits recht früh der Ungarische Blutegel H. verbana in den Handel. Exportiert wurden beide Egelarten unter anderem in die heutige USA, wo sie sich in einigen Regionen durch Aussetzungen und gezielte Ansiedlungsversuche etabliert haben sollen.
Für Norddeutschland war Anfang des 19. Jahrhunderts der "Vierländer Blutegelhandel" bekannt. In den Vierlanden (bei Hamburg) wurden im 19. Jahrhundert die damals häufigen Blutegel vor Ort gefangen und verkauft. Die Lukrativität war so gross, dass die ehemaligen Kleinbauern wohlhabend wurden und die "Ihlenfänger" (Ihl = plattdeutsch für Egel) ihre Handelsbeziehungen über Mecklenburg, Pommern, Polen und bis weit nach Osten in den russischen Ural, Rumänien und Ungarn ausdehnten, oder selbst dorthin aufbrachen, um Blutegel zu fangen. So entstand in Hamburg-Horn (damals ein Vorort) ein zentraler Handels- und Umschlagplatz, die "Blutegelbörse im Gasthof Schinkenkrug". Hier verkauften die "Russlandfahrer" ihre Fänge an deutsche, europäische und nord- sowie südamerikanische Egeleinkäufer. Es entstanden aber auch Zuchtbetriebe, z. B. die "Stöltersche Anstalt" bei Hildesheim, von wo "jährlich ca. 3,5 millionen" Blutegel vertrieben worden sein sollen (ca. 1860-1880?).
Für die therapeutische Nutzung in Europa werden heutzutage überwiegend H. verbana, zum Teil aus Zuchtbetrieben - z. B. aus dem niedersächsischen Wilhelmshaven, dem hessischen Biebertal oder dem brandenburgischen Ketzin, aber nach wie vor auch der Natur entnommene Wildfänge genutzt. Durch die aktuellen Sammeltätigkeiten wird nun in der Türkei ein starker Rückgang der dortigen H. verbana-Populationen festgestellt. Daher werden viele H. verbana derzeit im rumänischen Donau-Delta für den Export nach z. B. Deutschland gefangen.
Im Gegensatz zur Anwendung im frühen 19. Jahrhundert, wo Blutegel sehr oft als Alternative zum Aderlass eingesetzt wurden, werden die Egel heute vor allem nach chirurgischen Eingriffen, der Unfall- und plastischen Chirurgie, sowie in der Naturheilkunde mit großem Erfolg eingesetzt. Auch Haus- und Nutztiere werden mit Blutegeln behandelt. Die Blutegel müssen nach den Behandlungen "entsorgt" werden, da sie wegen der Gefahr von Krankheitsübertragungen nicht wiederholt genutzt werden dürfen. Wie und wo diese "Entsorgung" stattfindet ist mir nicht bekannt, es werden Einlegen in Alcohol und/oder das Einfrieren als Abtötungsmethoden genannt. In keinem Fall dürfen diese Tiere wegen der Gefahr einer Faunenverfälschung ins Freiland gelangen (dies gilt für alle Hirudo-Arten). Eine wünschenswerte "Nachweispflicht" über die vorgenommene Entsorgung dieser "Arzneimittel" existiert meines Wissens nicht.
Weiterhin werden aus Blutegeln verschiedene Arzneimittel gewonnen.
Gefährdung und Schutz
Nach wie vor ist H. medicinalis in Europa und Deutschland selten (geworden) und muß zu den gefährdeten Arten gezählt werden. Neben den historischen Entnahmen aus der Natur ist hierfür vor allem die unmittelbare Zerstörung und Entwertung geeigneter Lebensräume zu nennen.
H. medicinalis wird im Anhang V der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) geführt und zählt somit zu den Arten von gemeinschaftlichem Interesse. Zudem ist er im Anhang B der EG-Artenschutz-Verordnung aufgeführt. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) zählt der Medizinische Blutegel zu den nach nationalem Recht "besonders geschützten Arten".
Mittlerweile sind einige Funde des ursprünglich nicht in Deutschland heimischen Ungarischen Blutegels - auch reproduzierende Populationen - bekannt geworden. Solche unerwünschten Ansiedlungen sollten grundsätzlich unterlassen werden.
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